ElektroG geht nicht – Erfahrungsbericht einer Unternehmerin, die auszog, sich an die Gesetze zu halten

Das Ende der grenzenlosen Handelsfreiheit – das Elektroaltgerätegesetz ist eine große Belastungsprobe für grenzüberschreitenden Onlinehandel

„Mit der neuen WEEE2-Richtlinie aus Brüssel kann ich meinen internationalen Onlinehandel einfach nur noch dicht machen“, sagt Sigrid Wegerich, im Bundesverband Onlinehandel (BVOH) engagierte Unternehmerin. Umweltschutz wird in der EU-Kommission ganz groß geschrieben. Daher sollen auch Elektro- und Elektronikalteräte, kurzum Elektroschrott, von Händlern zurückgenommen und einem umweltnachhaltigen Recyclingsystem zugeführt werden. Und das ist seit Oktober 2015 auch in Deutschland Dank ElektroG geltendes Recht. (BVOH berichtete hier)

Sigrid Wegerich ist Unternehmerin durch und durch. Seit 1978 führt sie mit ihrem Mann ein Serviceunternehmen, das sich auf den After Sales Service von elektrischen und elektronischen Produkten spezialisiert hat. Seit 2006 betreiben sie zusätzlich einen Onlinehandel für ferngesteuerte Modellfahrzeuge. Die kleinen Flitzer werden auch ins EU-Ausland vertrieben.

Die am oberrheinischen Kehl ansässigen Wegerichs haben viel Freude an ihrem Geschäft, der RCT Radio Control Toys GmbH. Und sind begeistert dabei, wenn es etwas Neues zu lernen gibt. Doch für den Lerninhalt der letzten Wochen und Monate hat Sigrid Wegerich nur noch großes Kopfschütteln übrig.

Die WEEE2-Richtlinie aus Brüssel ist der Grund für die Kopfschmerzen der Wegerichs, denn das Ergebnis dieser EU-Richtlinie beinhaltet 28 unterschiedliche nationale Gesetze. Dank dieser Gesetze muss ein Onlinehändler, bei Verkauf und Versand ins EU-Ausland, bei der entsprechenden nationalen Behörden eines jeden EU-Landes seine Ware registrieren. Und das bereits bevor man die Ware überhaupt anbietet. Und, na klar, wie sind ja in der EU, nach unterschiedlichen Geräteklassen. Und Marken. Und ein Bevollmächtigter muss im Ausland gestellt werden, falls die Elektroschrott-Registrierungsbehörde sie beauftragt, gesammelten Schrott zu entsorgen. Ach ja, zu guter Letzt muss jetzt auch noch ein Entsorger und Recylcer irgendwie auch noch am Ende der Kette beauftragt werden, den Schrott abzuholen und ordnungsgemäß zu entsorgen. Komplexer ging es nicht. Sigrid Wegerich hat sich aufgemacht, das Geheimnis der EU-Regelungsfacetten in Europa zu erforschen.

„Die Regelungen sind kompliziert. Das ist ein Wust an Wortschöpfungen hier, ich frage mich immer wieder bei meiner Recherche, was die von mir eigentlich wollen.“ Eigentlich möchte sich Sigrid Wegerich damit nicht beschäftigen. Aber natürlich will sie rechtskonform weiterhandeln – auch ins EU-Ausland. Aktuell ist Weihnachtsgeschäft, Hochsaison bei den Wegerichs und all den vielen anderen Elektro- und Elektronikhändlern. Mit anderen Worten: Der Handel hat ganz andere Sorgen als zu versuchen, europäischen Bürokratismus zu verstehen.

Eine Richtlinie – 28 Umsetzungen – oder auch nicht

„Mein Finnisch und Tschechisch sind irgendwie nicht so gut“, schmunzelt die Unternehmerin, wenn sie an die Sprachen der nationalen Registrierungsbehörden denkt. Doch ihr Motto lautet: Unternehmerin zu sein, bedeutet etwas zu unternehmen. So hat sie in einem persönlichen Feldversuch nicht nur das deutsche Bundesumweltministerium angeschrieben, sondern eben auch die 27 anderen Umweltministerien in den EU-Mitgliedstaaten sowie denen der Schweiz und Norwegen. „Ich fragte nach den Kriterien hinsichtlich der Registrierung für die Entsorgungsströme und erhielt teils sehr unterschiedliche Rückmeldungen“, sagt Sigrid Wegerich. Tauche man tiefer in die Materie ein, so erkenne man, dass die EU eben doch sehr facettenreich sei. Aus den Niederlanden etwa kam eine eMail Adresse zurück. Litauen stellte einen Link zur Verfügung, der so kompliziert ist, dass der Internet-Browser damit keine gültige Seite aufbauen kann. Irland vermittelte hingegen sofort viele Ansprechpartner und teilte mit, welche Informationen bis wann von seiten des Händlers eingegangen sein müssen. Die Schweizer lehnen sich derweil zurück. Ja, auch die Eidgenossen wollen die Rücknahme von Elektroschrott fördern. Doch die Antwort fiel entspannt aus. Frau Wegerich könne sich Zeit lassen, soweit seien die Schweizer Behörden noch nicht.

BVOH sucht Lösungen über Marktplätze

Onlinehändlerin Wegerich ist Mitglied des BVOH. Und natürlich ist sie nicht die Einzige, die mit solchen Problemen zu kämpfen hat. Auch die anderen im BVOH organisierten Elektro(nik)händler berichten von ähnlichen Erkenntnissen. „Als Interessenvertreter der Marktplatzhändler sind wir derzeit mit Behörden, Entsorgern und Marktplätzen im Gespräch, um gemeinsame Lösungen zu erarbeiten“, sagt Oliver Prothmann, Präsident Bundesverband Onlinehandel e.V. Denn nicht nur den Händlern stehen Umsatzeinbußen durch das nur schwer zu erfüllende ElektroG in seiner internationalen Form ins Haus. Auch die Marktplätze registrieren zunehmend Händler, die ihren internationalen Verkauf von Elektro- und Elektronikgeräten einstellen – oder auf wenige Länder begrenzen.

„Ich habe keine Zeit mich in 28 Regelwerke unterschiedlicher Länder einzulesen, also bin ich gezwungen einen oder mehrere Dienstleister in Anspruch zu nehmen“, so lautet das Resümee von Sigrid Wegerich. Allerdings sind die nationalen Lösungen oft noch nicht umgesetzt. So müssen sich die Händler individuell um die Erfüllung der gesetzlichen Auflagen kümmern. Doch das sei wirtschaftlich unverhältnismäßig, erklärte Sigrid Wegerich vergangene Woche auch Brüsseler Politikern und Beamten.

Unverhältnismäßigkeit überrascht Politiker und Beamte in Brüssel

Sigrid Wegerich möchte nicht nur das ElektroG verstehen, sondern Fehlentwicklungen beheben. Für den BVOH flog sie vergangene Woche trotz Terrorwarnungen in einem nahezu leeren Flugzeug nach Brüssel. Dort hielt die EU-Kommission einen Workshop ab, um herauszufinden, wo auf dem Onlinehandelsmarkt wen der Schuh drückt. Sigrid Wegerich, als einziger „kleiner Krämerseele“ zwischen Weltkonzernvertretern und Brüsseler Politikern, stellte eins ihrer kleinen Modellautos auf den Tisch und fragte, ob die Damen und Herren sich vorstellen könnten, dass der Verkauf dieses kleinen Spielzeugs innerhalb der EU 40.000 Euro Registrierungsgebühren koste, bevor sie dieses Auto überhaupt anbieten dürfte. „Die Reaktion war betroffenes Schweigen. „Das war denen wohl auch nicht so klar gewesen“, stellt Wegerich fest. Wo ist da eigentlich der Gedanke des europäischen Binnenmarktes geblieben?

Es bleibt also nur noch die Frage, wer von der WEEE2 Richtlinie profitiert. „Ganz klar, es sind die chinesischen Händler, die in und nach Deutschland verkaufen“, weiß die erfahrene Onlinekauffrau. Chinesische Onlinehändler würden sich in Deutschland nicht um Gesetze kümmern und insbesondere keine Einfuhrumsatzsteuer deklarieren. Forschen die Finanzämter oder Zöllbehörden da nicht mal nach? „Nicht, wenn im Impressum chinesische Schriftzeichen stehen, wer soll denn da die Adresse herausfinden?“, vermutet Sigrid Wegerich und resigniert. Die Preise würden dadurch wettbewerbswidrig so lange gedrückt, bis die deutschen Händler vom Markt verdrängt werden.

Dennoch gibt die Unternehmerin nicht auf zu unternehmen. Obgleich den Wegerichs erst einmal nicht viel mehr übrig bleibt, als zu entscheiden, in welchem Land sie weiterhin ihre Ware anbieten möchten. Denn in alle 28 EU-Länder zu verkaufen, können sie sich nicht leisten. Da wird Umweltschutz in seiner jetzigen Form doch zu teuer und verhindert somit den gewollten EU-Binnenmarkt.

Am Ende des Tages hat Sigrid Wegerich verstanden, dass es nicht mehr reicht im Büro oder im Lager zu stehen und sein Geschäft zu betreiben, sondern man muss aktiv werden und der Politik erklären, was die geschaffenen Rahmenbedingungen verursachen. Zusammen mit dem Bundesverband Onlinehandel kämpft Sigrid Wegerich für einen fairen und freien Handel in Europa.

Keine Antwort aus Europa

„Schöne“ Aussichten für Händler, die sich in Bulgarien, Zypern, Estland, Frankreich, Griechenland, Luxemburg, Polen, Portugal, Rumänien, Finnland oder der Slowakei registrieren wollen, denn von dort kam beim Test überhaupt keine Antwort. Das kann natürlich auch der Anfrage geschuldet sein, die nicht in der Landessprache gestellt worden war, sondern auf Englisch. In den übrigen Ländern dauert die Bearbeitung noch an. Gute Registrierungslinks gibt es in:

Deutschland

https://www.ear-system.de/ear-portal/

Dänemark

http://www.dpa-system.dk/da/DPA

Irland

http://www.erp-recycling.ie

Lettland

http://www.elektroregistrs.lv/registration/en

Malta

http://www.mepa.org.mt/waste-weee

Schweden

http://www.el-kretsen.se/sitespecific/elkretsen/files/guidance-authorised-representatives-2015-02-25.pdf

Spanien

https://oficinavirtual.mityc.es/crmformweb/formularios/infoSia.aspx

Ungarn

http://ugyintezes.magyarorszag.hu/szolgaltatasok/adonyomtatvany.htm

Vereinigtes Königreich/ UK

https://www.gov.uk/electricalwaste-producer-supplier-responsibilities

https://www.gov.uk/guidance/waste-batteries-producer-responsibility

 

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