EU-Sektoruntersuchung bestätigt Beschränkungen im Onlinehandel – BVOH begrüßt finalen Abschlussbericht

BVOH sagt EU-Kommission DG COMP tatkräftige Unterstützung bei der Falleröffnung gegen Hersteller zu

Nun ist es wirklich amtlich. Der finale Abschlussbericht zur EU-Sektoruntersuchung liegt endlich vor. Ernsthafte Barrieren im Digitalen Binnenmarkt sind Realität. Das belegen die veröffentlichten Fakten. „Die verheerende Auswirkungen von Vertriebsbeschränkungen auf die für den digitalen Binnenmarkt so wichtigen kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) konnten in der Sektoruntersuchung erfolgreich ermittelt und identifiziert werden“, sagt Oliver Prothmann, Präsident des Bundesverband Onlinehandel e.V. (BVOH). Im lange erwarteten Abschlussbericht der „Sektoruntersuchung eCommerce“ stellt die EU-Kommission eine anschauliche Übersicht zu den existierenden Barrieren dar. „Die Sektoruntersuchung zeigt, dass energische Maßnahmen zwingend erforderlich sind. Und das sehr schnell, denn 50 Prozent der KMU leiden unter einer oder mehreren Vertriebsbeschränkungen. Sie sitzen in der sprichwörtlichen Falle, denn sie verfügen nicht über die nötige Handelsmacht, um Markeninhaber und Hersteller zu annehmbaren Geschäftslösungen zu bewegen“, warnt Oliver Prothmann. Im Abschlussbericht der Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel (eCommerce) beleuchtet die EU-Kommission Barrieren und Probleme, die die Etablierung des digitalen Binnenmarkts behindern.

 

BVOH begrüßt die Kampfansage der EU-Kommission als gut, richtig und überfällig

Der Bundesverband Onlinehandel begrüßt das Ziel der Kommission, auf Basis von konkreten Fallentscheidungen das rechtswidrige Vorgehen der Hersteller zu Marktplatz- und Preissuchmaschinen-Verboten zu bestätigen. Hierbei wird der Bundesverband Onlinehandel und die europaweite Initiative Choice in eCommerce aktiv unterstützen und ruft alle Händler auf, Belege für dieses Wettbewerbswidrige Verhalten zur Verfügung zu stellen.

Der klare Trend der Hersteller gehe dahin, im Internet direkt zu verkaufen, oder anhand von Kollaborationen mit einigen wenigen großen Händlern. Der Bericht wartet mit konkreten Zahlen auf: 64 Prozent der Hersteller öffneten ihre eigenen Webshops in den letzten Jahren, um den Verbraucher selber zu bedienen und somit den Markt und die Preise zu kontrollieren. Damit befinden sich Händler in einem Konkurrenzkampf mit ihren eigenen Lieferanten! Diese aufkommenden Entwicklungen haben nichts mit dem freien Binnenmarkt zu tun, sondern mit einem abgeschirmten Markt einiger großer Player. Wettbewerb ist unmöglich, solange Hersteller die KMU unterdrücken. „Dass die EU-Kommission diesen Beschränkungen den Kampf ansagt, finden wir kleinen und mittleren Onlinehändler gut, richtig und überfällig. Denn wenn der Verbraucher dadurch Schaden nimmt, wenn der KMU Händler dadurch Schaden nimmt, wenn der Wettbewerb dadurch Schaden nimmt und wenn sogar der Digitale Binnenmarkt dadurch Schaden nimmt und nur die Markenkonzerne gewinnen, dann frage ich mich sehr, wofür die Digitale Agenda steht“, sagt Oliver Prothmann.

42 Prozent der Händler gaben zudem an, Preisvorgaben zu erhalten, die zum Nachteil der Verbraucher und Verbraucherinnen zu Preiserhöhungen führen. Das zeige auf alarmierende Weise wie Hersteller auf dem Markt agierten. Selbst absolut klare Gesetze würden für Preis- und Marktkontrollen gebrochen, fasst Oliver Prothmann zusammen.

Des Weiteren berichtet der Abschlussbericht, dass 18 Prozent der Händler aufgrund von Vorgaben in den Verträgen mit Herstellern nicht international handeln dürfen und somit gegen das Ziel der Digitalen Agenda der EU verstoßen müssen.

 

BVOH fordert von der Politik die Stärkung der Wettbewerbsbehörden

Der BVOH fordert ein entschlossenes Vorgehen gegen den grassierenden Missstand der wettbewerbswidrigen Vertriebsbeschränkungen, unter denen besonders kleine und mittelständische Onlinehändler leiden. Das Internet darf nicht zum exklusiven Spielfeld von Handelsriesen und Großkonzernen werden. Es muss für KMU offenbleiben. Die Vielfalt des Handels lebt gerade von den Einfällen und Investitionen der kleinen und mittelständischen Unternehmer.

Die Politik muss jetzt handeln, denn leider können die Wettbewerbsbehörden, wie das Bundeskartellamt, wegen fehlender personeller Ressourcen das Problem nur unzureichend anpacken. Die Wettbewerbsbehörden müssen so gestärkt werden, dass sie wirksam gegen vertikale Beschränkungen einschreiten können sowie Strafen gegen das Vergehen müssen für die Unternehmen und deren Verantwortliche spürbarer werden.

Der BVOH erwartet von der Politik die nationalen und europäischen Wettbewerbsbehörden so zu stärken, dass diese schnell, übergreifend und nachhaltig gegen illegale vertikale Beschränkungen einschreiten können. Die Umfrageergebnisse des BVOH können als Leitfaden der am häufigsten erwähnten Hersteller und Markeninhaber dienen.

Außerdem muss die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen betroffener Unternehmen sowie von Verbraucherinnen und Verbrauchern gewährleistet werden. Die Politik muss im Dialog mit der Industrie die Hersteller und Markeninhaber für ein kartellrechtskonformes und binnenmarkt-freundliches Verhalten sensibilisieren. Abschließend muss jede bestehende und neue Regulierung der EU daraufhin überprüft werden, welche Folgen diese gerade für die kleinen und mittelständischen Unternehmen haben, damit KMU auch in Zukunft an einem digitalen Binnenmarkt gleichwertig teilnehmen können.

 

Formen der Beschränkungen sind zahllos

Die Arten der Vertriebsbeschränkungen sind vielfältig. Laut Abschlussbericht gaben zwei von fünf Händlern an, dass Marktplatzverbote in den Verträgen mit den Lieferanten verschriftlicht seien. Eine Methode, die in erster Linie KMU schadet, da insbesondere diese aufgrund der bereits vorhandenen Infrastruktur über Marktplätze verkaufen und das internationale Geschäft so auf einfachste Weise ausprobieren und etablieren können.

Auch die Verbraucherinnen und Verbraucher werden erheblich durch die Vertriebsbeschränkungen geschädigt: „Sie zahlen häufig deutlich mehr für Produkte, als sie es bei einem funktionierenden Wettbewerb müssten. Das darf nicht so bleiben. Der Schaden beträgt Jahr für Jahr Milliarden Euro“, sagt BVOH-Präsident Oliver Prothmann. Mehr als 10.000 Unternehmen mussten bereits Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen, so eine BVOH-Schätzung.

Die Zukunft des Onlinehandels ist bedroht. Tausende kleiner und mittelständischer Onlinehändler stehen in allen europäischen Ländern vor dem Aus. Ihre Existenz steht auf dem Spiel, weil sie Opfer wettbewerbswidriger Verhaltensweisen von Herstellern und Markeninhabern sind.

 

EU-Abschlussbericht bestätigt Fakten der BVOH-Umfrage zu Beschränkungen

Der BVOH hatte gemeinsam mit der Initiative „Choice in eCommerce“ bereits im Sommer 2016 eine europaweite Umfrage durchgeführt. Mehr als 7.000 teilnehmende Händlerinnen und Händler gaben Beispiele für eine Reihe von Beschränkungen, einschließlich Plattformverboten (oder sogenannte Marktplatzverbote) an. Das bedeutet, dass hier sechs Mal mehr Händler und Händlerinnen teilgenommen haben, als in der Umfrage der Sektoruntersuchung. Laut Umfrage des BVOH und im Einklang mit dem Abschlussbericht der EU-Kommission, beklagen mehr als 50 Prozent der Europäischen Händler und Händlerinnen Umsatzverluste durch Vertriebsbeschränkungen. Nahezu ein Fünftel der europäischen Händler beklagen einen jährlichen Verlust von 25 Prozent und mehr.

 

Vertriebsbeschränkungen in der EU weit verbreitet

Seit vier Jahren setzt sich die Händler-Initiative Choice in eCommerce gegen die Diskriminierung von online Handelsunternehmen gegenüber stationären Handelsunternehmen ein. 2013 übergab Choice in eCommerce eine Petition mit über 14.000 Unterschriften von Händlern an EU-Vizepräsident Olli Rehn. Jährlich präsentiert Choice in eCommerce neue alarmierende Zahlen zu Onlinebeschränkungen. Die aktuelle Umfrage zeigt fast 2.000 Marken aus Bereichen auf, die von Fashion bis Elektronik rangieren, die Internetverkäufe in Europa verbieten oder behindern, was eine erhebliche Barriere für den eCommerce bedeutet.


Ein Überblick über die Entwicklung der Handelsbeschränkungen

Einige nationale Wettbewerbsbehörden, etwa in Frankreich und Deutschland, haben sich bereits mit Beschränkungen beschäftigt, beispielsweise Marktplatzbeschränkungen. Doch diese Fälle sind oftmals auf wenige Mitgliedstaaten beschränkt und konzentrieren sich auf spezielle Märkte. „Die Kommission indes muss einen deutlichen europaweiten gültigen Standpunkt einnehmen: Onlinebeschränkungen wie generelle Marktplatzverbote sind nicht konform mit dem geltenden Europäischen Wettbewerbsrecht“, sagt Oliver Prothmann.

Mitte 2014 nahm Adidas die zum 1. Januar 2013 gestarteten Handelsbeschränkungen gegenüber den Sport-Fachhändlern wieder zurück. Das Bundeskartellamt hatte gegen Adidas und Asics Untersuchung gestartet. Aus Sicht des Bundeskartellamtes sind dies Kernbeschränkungen. Außerdem zeigt das Verhalten von Adidas überdeutlich, dass Beschränkungen nahezu willkürlich sind und von heute auf morgen aufgelöst werden können. Der Schaden für die KMU Handelsunternehmen bleibt aber bestehen.

Auch der EuGH wird sich mit der Frage der Vereinbarkeit von Online-Marktplatzverboten mit europäischem Wettbewerbsrecht beschäftigen. Das OLG Frankfurt hat einen Fall, der sich mit einem Marktplatzverbot des Parfümherstellers Coty beschäftigt, dem höchsten europäischen Gericht vorgelegt (Fall C-230/16). Der EuGH hat nun die Möglichkeit, in letzter Instanz über die Zulässigkeit von Plattformverboten zu entscheiden. „Wir fordern die EU-Mitgliedsstaaten auf, in den nächsten Wochen  zu dem Verfahren Stellung zu nehmen und die Relevanz von Online-Marktplätzen für Verbraucher und Online-Händler zu unterstreichen und nicht zuletzt Vertriebsbeschränkungen durch Hersteller und Marken zu untersagen“, sagt Oliver Prothmann.

Deshalb bleibt der BVOH bei seiner harten Haltung und fordert: Die Europäische Kommission muss die Gelegenheit nutzen, um deutliche Lösungen zur Problembehebung der Vertriebsbeschränkungen aufzuzeigen. Das kann Maßnahmen beinhalten, wie das Identifizieren von Fällen gegen Markeninhaber und Hersteller oder Stellungnahmen, die das bestehende Recht klären.

 

Zur Initiative Choice in eCommerce

Mit der 2. Europaweiten Umfrage zu Beschränkungen im Onlinehandel in 2015 konnte Choice in eCommerce erstmals aufzeigen welche Folgen Vertriebsbeschränkungen durch Hersteller und Marken für den Handel haben. Es konnte klar belegt werden, dass gerade der kleine und mittelständische Handel neben teils empfindlichen Umsatzeinbußen durch dieses Verhalten bis in die Insolvenz getrieben wird.

 

Eine Hauptaufgabe der Initiative ist das Thema der Vertriebsbeschränkungen durch Hersteller und Marken in der Öffentlichkeit und insbesondere der Politik bekannt zu machen. Ein Ergebnis der intensiven Arbeit ist die Aufnahme dieses Themas in die Sektoruntersuchung eCommerce der EU-Kommission in 2015.

In den letzten vier Jahren haben alle deutschen Gerichte zugunsten des Onlinehandels Verfahren entschieden und Vertriebsbeschränkungen, insbesondere Marktplatzverbote untersagt. Nur das OLG Frankfurt am Main wich von dieser Linie ab und ist zu einer anderen Erkenntnis gekommen. Diese hat das OLG nun zur Entscheidung an das EuGH weitergeleitet. Auch hier wird Choice in eCommerce aktiv bleiben. Des Weiteren erwarten wir eine Entscheidung vom BGH zu dem Thema.

Die 3. Europaweite Umfrage zu Beschränkungen im Onlinehandel zeigt nun auf, dass die Gefahr durch Beschränkungen durch Hersteller und Marken weiterhin sehr akut ist. Erstmals überhaupt wird mit dieser Umfrage Ross und Reiter genannt und aus den Antworten der Umfrage eine Liste von 1.864 Hersteller- und Markennamen ermittelt. Diese Liste der Beschränker führt neben dem Namen auch die Art der Beschränkung auf, wie sie von den über 7.000 Händlern genannt wurden.

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