Steuergesetz 2018 – Interview mit Roger Gothmann von Taxdoo

Hallo Roger, es gibt einen neuen Gesetzentwurf zur Umsatzsteuerthematik im Onlinehandel. Welches sind die wesentlichen Neuerungen?

Der Gesetzentwurf nimmt die Betreiber von elektronischen Marktplätzen – also Amazon, eBay und Co. – unter bestimmten Umständen für in Deutschland entstandene und nicht abgeführte Umsatzsteuer in die Haftung.

Zusätzlich werden die Betreiber von elektronischen Marktplätzen über sie abgewickelte Transaktionen nach bestimmten Kriterien aufzeichnen und auf Anfrage den Finanzbehörden übermitteln müssen.

 

Roger Gothmann, Geschäftsführer Taxdoo GmbH und Steuerexperte hier beim Vortrag auf dem Tag des Onlinehandels 2017

 

Wie sind Betreiber definiert und wer ist damit gemeint?

Der § 25e Abs. 6 UStG n. F.[1] definiert einen Betreiber als jemanden, der einen elektronischen Marktplatz unterhält und es Dritten – also Marktplatzhändlern – ermöglicht, auf diesem Marktplatz Umsätze zu erzielen.

 

Welche Händler betrifft das neue Gesetz?

Das Gesetz betrifft alle Händler, die steuerbare Umsätze über Marktplätze im Inland – also in Deutschland – erzielen. Also sowohl Händler mit Sitz in Deutschland, als auch der EU oder im Ausland.

 

Der Bundesverband Onlinehandel e. V. (BVOH) kämpft seit Jahren in Brüssel und Berlin gegen die Praxis vornehmlich asiatischer Onlinehändler, die die Mehrwertsteuer nicht an das deutsche Finanzamt abführen. Bedeutet das neue Gesetz – wenn es denn in Kraft tritt – dass dies ein Ende haben wird?

Der Gesetzentwurf allein stellt sicher kein Allheilmittel dar. Es ist aber davon auszugehen, dass die Marktplätze insbesondere Händler aus Drittländern, auf die der Gesetzesvorschlag vornehmlich abzielt, sperren werden, wenn sie keine steuerliche Registrierung in Deutschland nachweisen können.

 

Gehen wir mal in die Details. Was bedeutet das neue Gesetz für den deutschen Händler, der auf Marktplätzen handelt? Was für Händler aus Europa und was für Nicht-EU-Händler?

Der Gesetzentwurf unterscheidet an den meisten Stellen nicht zwischen der sog. Ansässigkeit eines Händlers.

Alle diese Händler werden in Zukunft den Betreibern von Marktplätzen eine Bescheinigung ihres Finanzamtes vorlegen müssen. Darin bestätigt das Finanzamt, dass dieser Händler seinen steuerlichen Pflichten bislang und voraussichtlich auch zukünftig immer vollumfänglich nachkommt. Letztendlich stellt das eine Unbedenklichkeitsbescheinigung durch das Finanzamt dar.

Händler aus Drittländern – etwa China – erhalten diese Bescheinigung von bestimmten bundesweit zuständigen Finanzämtern nur, wenn sie einen Empfangsbevollmächtigten im Inland bestellen.

 

Wie lange ist diese Unbedenklichkeitserklärung gültig?

Das wird nach dem Wortlaut des Gesetzentwurfs im Ermessen des zuständigen Finanzamtes liegen, das die Bescheinigung ausstellt. Diese Bescheinigung muss aber befristet sein – für maximal drei Jahre.

 

Das heißt, der Aufwand für den Händler ist eher gering. Was müssen die Betreiber von Marktplätzen tun?

Die Betreiber von Marktplätzen stehen vor großen Herausforderungen. Sie müssen sämtliche Lieferungen jedes Händlers, welche in Deutschland beginnen oder enden, aufzeichnen und auf Anfrage an die Finanzbehörden übermitteln.

Besteht für diese Transaktionen eine Umsatzsteuerpflicht in Deutschland und wurde die Umsatzsteuer nicht abgeführt, kann der Betreiber eines Marktplatzes in Haftung genommen werden.

Das kann der Betreiber nur abwehren, wenn er bei der gebotenen Sorgfaltspflicht davon ausgehen musste, dass der Händler seinen steuerlichen Pflichten nachkommt. Das kann er praktisch nur, wenn ihm das für den Händler zuständige Finanzamt eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt hat.

 

Wenn also ein Betreiber keine Unbedenklichkeitsbescheinigung von einem Händler hat, ist der Betreiber für die Zahlung der Umsatzsteuer dieses Händlers verantwortlich. Sprich, das Finanzamt fordert die Umsatzdaten zur Ermittlung der Steuerlast bei dem Marktplatz-Betreiber ein und fordert den Betreiber zur Zahlung der ermittelten Umsatzsteuer auf. Richtig?

Fast! Das Finanzamt darf den Marktplatz erst dann für entstandene und nicht abgeführte Umsatzsteuer in Haftung nehmen, wenn es den Einzug bzw. die Vollstreckung erfolglos beim Händler versucht hat – oder, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass dies beim Händler erfolglos sein wird.

Einzig bei Händlern aus Drittländern – etwa China – kann das Finanzamt den Betreiber ohne den genannten Zwischenschritt in Haftung nehmen.

 

Das Risiko wird wohl kein Marktplatz tragen wollen, also müsste der Marktplatz den Händler vom Handel ausschließen. Oder gibt es eine Alternative oder gar Hintertür?

Grundsätzlich hat der Marktplatz-Betreiber laut Gesetzentwurf auch andere Möglichkeiten, nachzuweisen, dass er nichts von der Steuerunehrlichkeit des Händlers wissen konnte. Allerdings sind diese nicht eindeutig definiert und stellen somit ein erhebliches Risiko für den Betreiber dar.

 

Was ist mit den Marktplätzen, die keinen deutschen Sitz haben? Wish.com, aliexpress etc. Wie kommen die Finanzbehörden da an die Steuern?

Für diese Marktplätze gelten die Haftungsregeln ebenfalls. Allerdings wird die Vollstreckung gegen die Betreiber dieser Marktplätze schwierig, wenn es kein Amtshilfeabkommen mit dem Sitzstaat gibt. Insofern kann das schon zu einer Wettbewerbsverzerrung führen.

 

Es gibt auch eine Regelung zu schein-privaten Verkäufern. Wie sieht diese aus?

Die Betreiber müssen auch die Transaktionen von Händlern dokumentieren, welche sich nicht als Unternehmer auf dem Marktplatz angemeldet haben und auf Anfrage an die Finanzbehörden übermitteln . Stellt das Finanzamt – etwa nach Abfrage dieser Daten – fest, dass eine Umsatzsteuersteuerpflicht besteht und hat diese Forderung erfolglos beim Händler vollstreckt, dann kann die Haftung des Betreibers greifen. Sie kommt dann zur Anwendung, wenn anhand von Art, Menge und der Höhe davon auszugehen war, dass der Händler als Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes tätig war.

 

Mit anderen Worten: das Thema wird zwar betrachtet, aber da jegliche messbaren Kriterien fehlen, ist eine Verbesserung im Vergleich zu heute eigentlich nicht zu erkennen?

Das ist in der Tat ein Problem. Es gibt keine klare Definition, ab welcher Menge, Art oder Höhe der Umsätze ein vermeintlich privater Händler der Umsatzsteuerpflicht unterliegt. Das ist immer von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Plattformen wie etwa eBay oder eBay-Kleinzeigen, über welche sehr viele Privatpersonen gebrauchte und neue Gegenstände verkaufen, stehen hier einem unkalkulierbaren Risiko gegenüber.

 

Welche Daten müssen die Marktplätze nun zusätzlich von Händlern und privaten Anbietern erfassen?

Die Marktplätze müssten etwa die Adresse der/des Lager/s der Händler erfassen und den Eigenversandslieferungen zuordnen können. Für Privatpersonen muss das Geburtsdatum erfasst werden. Und natürlich müssen alle Firmennamen und Adressen stimmen und nicht zuletzt die Steuer-ID hinterlegt sein, damit eine Zuordnung der Unbedenklichkeitsbescheide möglich ist.

 

Es sieht also im Großen und Ganzen so aus, dass die Regierung nun privates Steuereintreibertum einführt, so wie es das im Mittelalter oder im Absolutismus gab, oder?

Bedingt, denn die Bemessungsgrundlagen müssen die Finanzbehörden zunächst weiterhin ermitteln und festsetzen. Auch müssen sie – zumindest bei Händlern mit Sitz in der EU – versuchen, die Umsatzsteuer immer zuerst beim Händler zu vollstrecken.

Allerdings überträgt der Gesetzgeber im Bereich Onlinehandel nun einen großen Teil der Verantwortung bzw. der Steuerpflichten auf Dritte – die Betreiber von Marktplätzen.

 

Aber im Endeffekt, da der Aufwand für die ehrlichen Händler gering ist, scheint das Gesetz das Problem zu adressieren und nimmt die Marktplätze in die Pflicht, die „schwarzen Schafe“ zu identifizieren. Ein Händler, egal ob aus Deutschland, der EU oder dem Ausland, der steuerlich nicht in Deutschland registriert ist oder der der Abgabe der Umsatzsteuer nicht nachkommt, müsste vom Betreiber identifiziert und dann vom Handel gesperrt werden. Oder der Marktplatz muss eine Risikoabschätzung tätigen und solche Händler mit höheren Gebühren oder dem Einbehalt von höheren Umsatzanteilen belegen. Wie sieht es nun mit der Umsetzung aus? Wann wird das Gesetz voraussichtlich verabschiedet und wann tritt es in Kraft?

Ich gehe von einer Verabschiedung im dritten oder vierten Quartal 2018 aus.

 

Das bedeutet, dass das Gesetz erst im Dezember veröffentlicht wird und dann zum 1. Januar 2019 in Kraft tritt, dass sich wahrscheinlich über 200.000 Onlinehändler beim jeweiligen Finanzamt melden und die Unbedenklichkeitsbescheinigung beantragen werden. Stimmt das?

Zuständig sind die Heimat-Finanzämter der Händler. Insofern verteilt sich der Arbeitsanfall zum Glück etwas. Bei Händlern aus China zum Beispiel ist allerdings bundesweit das Finanzamt Berlin-Neukölln zuständig. Hier könnte es sicher zu einem Stau der Anträge kommen.

 

Gibt es diese Bescheinigung heute schon?

Es gibt sie in ähnlicher Form für andere steuerliche Zwecke – aber noch nicht für diesen Bereich. Auch sollten sich die Bundesländer noch auf einheitliche Kriterien festlegen, in welchen Fällen eine solche Bescheinigung ausgestellt wird – und in welchen Fällen nicht.

Ansonsten kann es passieren, dass das eine Finanzamt einem Händler, der vielleicht zweimal in Folge seine Umsatzsteuer-Voranmeldung verspätet abgegeben hat, keine Bescheinigung ausstellt, während ein anderes Finanzamt das ohne Weiteres macht.

 

Wir fassen zusammen: In der Weihnachtszeit melden sich dann 200.000 Unternehmen bei den Finanzämtern. Wie lange wird es wohl dauern, eine solche Bescheinigung zu erstellen?

Das ist schwer abzuschätzen. Der zuständige Finanzbeamte muss sich zuerst ein Bild über den Steuerpflichtigen machen: Kommt dieser seinen Steuerpflichten immer vollständig nach und ist damit auch in Zukunft zu rechnen? Dafür gibt es meines Wissens noch keinen automatisierten Prozess bei den Finanzbehörden. Insofern können schon ein paar Wochen ins Land ziehen, bevor der Händler seine Bescheinigung erhält.

 

Wird es eine Urlaubssperre für die Finanzämter geben?

Davon gehe ich nicht aus. Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass es ab dem 01.01.2019 eine zeitlich befristete Übergangsregelung geben wird, in welcher die Marktplätze bei fehlender Bescheinigung noch nicht in Haftung genommen werden.

 

Auf der einen Seite sind die Onlinehändler im Weihnachtsgeschäft sind, auf der anderen werden die Finanzämter nicht bereit sein für diese große Nachfrage nach Bescheinigungen. Bedeutet das nun, optimistisch gedacht, dass der Onlinehändler, der zügig die Bescheinigung beantragt, wahrscheinlich Ende Januar das Papier bekommt und die Marktplatzbetreiber diese Info online beim Bundeszentralamt für Steuern abfragen können. Steht dieses System schon?

Es ist nicht davon auszugehen, dass die Bundesfinanzverwaltung aufgrund eines Gesetzentwurfes, der noch nicht einmal offiziell verabschiedet ist, bereits die erforderliche IT-Infrastruktur aufbaut. Im Gesetzentwurf steht daher auch (§ 27 Abs. 25 UStG n.F.), dass das Bundesfinanzministerium noch gesondert über den Beginn des elektronischen Verfahrens unterrichten wird.

 

Also das Gesetz für eine digitale Branche hat nichts Digitales zu bieten. Das würde aber bedeuten, dass der Händler dann das Stück Papier einscannen muss und an die Marktplätze mailt. Diese müssen es erfassen und zuweisen. Also sehe ich, wenn es gut geht, eine Lücke von mindestens einem Monat, indem die Marktplätze das Risiko tragen, was sie nicht tun werden. Mindestens einen Monat kein Onlinehandel, weder von deutschen noch von ausländischen Händlern. Das wäre wohl die Konsequenz?

Ja, es wird unmittelbar kein elektronisches Verfahren geben (siehe oben). So drastisch, dass es mindestens einen Monat keinen Onlinehandel geben wird, würde ich es aber nicht sehen. Angesichts der Konsequenzen bzw. der negativen volkswirtschaftlichen Auswirkungen sollte es hier eine Übergangsfrist geben.

 

Die es bisher aber nicht gibt. Herzlichen Dank Roger Gothmann von Taxdoo für diese Klärungen und wir sehen uns auf dem Tag des Onlinehandels am 30. August 2018 in Berlin und da wird es ein Update dazu geben.

 

Pressemitteilung zum Steuergesetz 2018

BVOH warnt: Bundesregierung schaltet den Onlinehandel ab – Steuergesetz 2018

 

Referentenentwurf

https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/19_Legislaturperiode/Gesetze_Verordnungen/JStG-2018/0-Gesetz.html

 

[1] Umsatzsteuergesetz neue Fassung

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