Amazon und EU-Kommission: Antwort des BVOH zu den Verpflichtungsangeboten von Amazon in Bezug auf Daten von Marktplatzverkäufern sowie dem Zugang zur Buy-Box und zum Prime-Programm

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Sehr geehrte Executive Vize-Präsidentin Vestager,

Sehr geehrter Herr Kramler,

es war eine Überraschung, als wir im Juni 2022 von einem Vorschlag von Amazon erfuhren, wie man in Zukunft vorgehen möchte, um die gerechtfertigten Vorwürfe seitens der EU-Kommission zu entkräften.

Es war eine positive Überraschung, denn es zeigt, dass Ihre Arbeit etwas bewegt, dass selbst ein Unternehmen wie Amazon die Kritik ernst nimmt und nach einer Lösung sucht.

Der Vergleich, den Amazon der EU-Kommission anbietet, ist ein guter Vergleich und führt in ein neues, gerechteres Verhältnis zwischen Amazon Marketplace, Amazon Retail und den Dritthändlern.

Das Team der EU-Kommission, das über Jahre mit Amazon verhandelte, kann sehr zufrieden mit dem sein, was hier erarbeitet worden ist. Lassen Sie mich jedoch ergänzend ein paar wichtige Punkte anbringen:

Restriction on use of non-public Seller Data for Retail Operations in competition with Sellers

Über die Ausführungen in der Definition im Papier hinaus muss gewährleistet sein, dass entlang der gesamten Wertschöpfungskette, also inkl. Warenbeschaffung, Preisfindung, Lagerung, Versand und Online-Marketing, keine Daten von Amazon Marketplace an Amazon Retail gehen darf. Es muss eine klare Trennung, eine Art Chinesische Mauer, zwischen diesen Organisationen geben. Diese Trennung muss insbesondere an gleichen Standorten von Amazon gewährleistet werden und sich über alle Organisationsebenen ziehen.

Dies muss explizit auch für Dokumente gelten, die Amazon Marketplace aus Gründen der Risikoeinschätzung von Sellern anfragt. Diese Dokumente beinhalten Preise, Mengen und Produzentenadressen, welche absolute Geschäftsgeheimnisse der Seller sind und dem Wettbewerber Amazon Retail nicht bekanntgegeben werden dürfen.

Darüber hinaus muss Amazon Retail dieselben Konditionen für die Nutzung von Amazon Fulfillment bezahlen und dieselben Service-Level erhalten. Erst damit ist eine Wettbewerbsgleichheit zwischen Amazon Retail und den Sellern gewährleistet.

Und um hier besonders klar zu sein, diese Restriktion muss für alle Unternehmen und Services von Amazon gelten. Amazon Retail darf keine Daten von Amazon Marketplace, Amazon Pay, Amazon Fulfillment oder jegliche anderen existierenden und zukünftigen Amazon Unternehmen einsehen können, wenn diese Daten nicht frei öffentlich zugänglich sind. Außerdem darf Amazon Retail diese Daten nur nutzen, wenn es für jedermann möglich ist, diese freien Daten einzusehen. Eine Information hinter einem kryptischen Link, den Amazon Retail kennt, aber für einen Außenstehenden nicht nachvollziehbar ist, gilt nicht als öffentlich zugänglicher Datensatz.

Preisfindung

Insbesondere muss diese Trennung der Datennutzung darin bestehen, dass Amazon Retail entgegen aktueller Handhabung Preisänderungen von Sellern dafür nutzt, den eigenen Preis anzupassen, noch bevor der Preis des Sellers online ist. Heute passiert es laufend, dass ein Seller, der bei einem Produkt im direkten Wettbewerb mit Amazon Retail steht und den Preis reduziert, um günstiger als das Angebot von Amazon Retail zu bleiben, immer wieder durch Amazon Retail unterboten wird, weil Amazon noch vor Onlinestellung des Seller Preises den Amazon Retail eigenen Preis neu berechnet und anpasst.

In diesem Zusammenhang muss Amazon Retail untersagt werden, dass mit Herstellern sogenannte “compensation clauses” geschlossen werden. Durch diese Preisausgleichsklauseln ist es Amazon Retail möglich, auch unter einem kalkulatorischen und ökonomischen Mindestpreis zu gehen, weil der Hersteller, auf Nachweis, diese Preisspanne ausgleichen wird. Da nahezu alle Seller auf Amazon als KMU zu klein sind, um mit Herstellern ebenfalls eine solche Preisausgleichsklausel zu vereinbaren, ist dieses Vorgehen von Amazon aufgrund der Marktbeherrschung, wettbewerbsverzerrend und muss unterbunden werden.

Ebenfalls muss Amazon Retail untersagt werden, mit den Herstellern Listen auszutauschen, welcher Seller wann zu welchem Produkt den Preis von Amazon Retail unterboten hat.

Außerdem muss Amazon Retail untersagt werden, die Angebote und Preise der Seller auf anderen Plattformen und dessen Online-Shop auszulesen. Diese technischen Möglichkeiten und Ressourcen haben KMU-Seller nicht.

Application of non-discriminatory conditions and criteria in determining the Featured Offer

Amazon Marketplace benutzt ein „Seller Rating“, um die Performance eines Sellers zu analysieren und entsprechend die Angebote des Sellers zu bewerten. Das heißt, wenn der Seller nicht innerhalb eines Tages seine Ware an den Endkunden verschickt, bekommt das Angebot eine interne, schlechtere Amazon Marketplace Bewertung. In Zukunft ist es unabdingbar, dass Amazon Retail mit denselben Kriterien bewertet wird. Nach unserer Kenntnis gibt Amazon Marketplace intern keine Bewertung für Amazon Retail ab. Denn bereits heute ist es so, dass nicht jedes Produkt von Amazon Retail am nächsten Tag dem Käufer zugestellt wird. Aktuell findet keine interne Bewertung von Amazon Retail als Händler durch Amazon Marketplace statt.

Weitergehend bedeutet das auch, dass es Amazon Retail absolut untersagt sein sollte, nach Ausverkauf des eigenen Bestandes auf Ware von Sellern zurückzugreifen. Uns erzählen immer wieder Händler, dass bei Fehlplanung im Lager seitens Amazon Retail die Logistik von Amazon bei Verkäufen durch Amazon Retail Produkte von Sellern aus dem Lager nehmen aber nicht die Amazon Retail eigenen Produkte. Sollte kein Produkt von Amazon Retail mehr am Lager sein, dann muss das als Leerverkauf gelten und der Käufer informiert werden. Außerdem muss dieser Mangel in der Seller Performance von Amazon Retail einberechnet werden.

The display of a second Offer in the Offer Display

Wir verstehen, dass es sinnvoll klingt, ein zweites Angebot anzuzeigen, damit neben einem möglichen Amazon Retail Angebot auf jeden Fall ein Angebot eines Sellers dargestellt wird.

Nur verstehen wir nicht, warum

  • das zweite Angebot hinter einem Klick versteckt sein muss,
  • das zweite Angebot eine negative Überschrift erhalten soll,
  • das erste Angebot dadurch eine Aufwertung bekommt, dass der Preis doppelt angezeigt wird.

Wir schlagen folgende Varianten vor:

  1. Es bleibt bei einem Buy-Box Angebot, aber dies muss rollierend zwischen den besten Angeboten dargestellt werden. Hierzu bedarf es, dass nicht zu viele Kriterien festgelegt werden, welches Angebot das beste Angebot ist (zwischen drei und fünf Kriterien), denn wenn es mehr Kriterien gibt, ist es möglich durch kleine Abweichungen andere Angebote schlechter erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich sind. Damit wäre es Amazon Retail wieder möglich, mit minimalen Anpassungen den Gewinn der Buy-Box zu erreichen.
  2. Es sollte drei Preise in der Buy-Box mit der klaren Zuordnung
    1. Best (price-performance ratio)
    2. Fastest delivery
    3. Refurbished

Auch wenn Amazon Marketplace sagen wird, dass es nicht möglich sei, so viele Preise auf einer Ebene zu zeigen, sind wir uns sicher, dass es Möglichkeiten gibt, wenn Amazon Marketplace dazu verpflichtet wird.

Prime

Amazon Marketplace und Amazon Retail haben in der Vergangenheit den europäischen Onlinehandel mit den Anforderungen an Versandgeschwindigkeit und -service gelehrt, wie Onlinehandel heutzutage funktionieren muss. Der Käufer ist inzwischen einen Standard gewöhnt, der auch in Zukunft gehalten werden muss. Das hat Amazon durch das Prime Programm erreicht. Kein Seller kann im Markt bestehen, wenn dieses Level an Service nicht eingehalten wird.

Daher ist es nicht mehr nötig, ein extra Prime Programm für Verkäufer zu betreiben.

Die in dem Papier angekündigten Änderungen und Anpassung werden bereits am Markt gelebt und auch akzeptabel.

Da wirft sich für uns die Frage auf, wer steuert Amazon Fulfillment? Ist Amazon Marketplace oder Amazon Retail der Herr über Amazon Fulfillment? Natürlich muss in Zukunft Amazon Retail nur ein weiterer Kunde von Amazon Fulfillment wie alle Seller sein, die Amazon Fulfillment nutzen. Amazon Fulfillment darf Amazon Retail keine Bevorzugung geben, nur weil beide zu Amazon gehören. Hierzu bedarf es eine vertragliche Grundlage, die andere Händler ebenfalls gleichberechtigt erhalten sollten.

Wird es nach Prime ein neues Programm seitens Amazon Marketplace geben? Wenn ja, muss es zu einer deutlichen und umfassenden Kommunikation der Kriterien Richtung Seller kommen. Aktuell hören wir von den Sellern, dass die Kriterien zu „Prime by Seller“ nicht klar kommuniziert werden, sodass die Seller nicht genau wissen, was die Forderungen seitens Amazon Marketplace sind. Solange aber Amazon Marketplace die Forderungen im Backend auswertet, kann das zu schlechten Bewertungen in der Performance des Seller Kontos bis zur Sperrung führen, was jeder Seller verhindern will. Wir fordern deshalb die EU-Kommission auf, ergänzend zu diesem Vergleich auch nochmals auf die P2B-Verordnung hinzuweisen, an die sich insbesondere Amazon zu halten und zu befolgen hat.

Monitoring Trustee

Der Bundesverband Onlinehandel begrüßt außerordentlich die Einführung einer Schiedsstelle zur Prüfung der Umsetzung aller Änderungen bei Amazon Marketplace und Amazon Retail.

Worauf wir unbedingt hinweisen wollen, ist, dass diese Schiedsstelle besonderes Know-how im Marktplatzgeschäft und zum Handel über Marktplätzen aus Sicht von KMUs haben muss. Es macht keinen Sinn, ein Unternehmen zu beauftragen, das einen Fragebogen an Amazon schickt und dann im Nachgang diesen auswertet. Hier geht es um Geschäftsprozesse und vielfältige Abhängigkeiten zwischen einem marktbeherrschenden Unternehmen und unzähligen KMUs über ganz Europa verteilt.

Wenn die EU-Kommission es ernst mit der Unterstützung von KMUs in Europa meint, muss diese Schiedsstelle eine nachweisbare Kompetenz auf dem Feld „Handel über Marktplätze – insbesondere Amazon“ haben! Eine große Unternehmensberatung kann das nicht leisten.

Zusammenfassung

Wie bereits zu Beginn geschrieben, begrüßen wir diesen vorgeschlagenen Vergleich seitens Amazon. Aber wir fordern die EU-Kommission auf, die oben genannten Punkte genau zu lesen und zu prüfen.

Die Einigung über einen Vergleich zwischen der EU-Kommission und Amazon beschleunigt die Definition der Umsetzung und reduziert die Gefahr langer Streitigkeiten im Nachgang.

Mit obigen Anpassungen wird die EU-Kommission eine neue gerechte Tür im Umgang zwischen marktbeherrschenden Unternehmen und KMUs in Europa öffnen.

Gerne steht der BVOH weiterhin jeder Zeit der EU-Kommission aber auch Amazon für weitere Rückfragen zur Verfügung.

Hiermit autorisieren wir die EU-Kommission, diese Antwort auf das Verpflichtungsangebot von Amazon veröffentlichen zu dürfen.

Mit freundlichen Grüßen

Oliver Prothmann

Präsident

Berlin, 9. September 2022

 

Letter in english (PDF): BVOH Feedback Antitrust Amazon