Europäischer Gerichtshof untersagt pauschale Vertriebsverbote, aber erlaubt Verkaufsverbote für Luxuswaren im Onlinehandel

BVOH mahnt fehlende Definition von Luxus sowie fehlende Gleichstellung von stationärem und Onlinehandel an

Hersteller und Marken sollen auf Grund eines „Luxusimages“ den Wettbewerb durch ein selektives Vertriebssystem beschränken dürfen. Das teilte der Europäische Gerichtshof (EuGH), heute in seinem Urteil zum Verfahren C-230/16 Coty Germany/Parfümerie Akzente mit.

Der EuGH hatte in diesem Fall zu klären, ob das „Luxusimage“ einer Ware die Rechtfertigung für ein selektives Vertriebssystem sein könne und ob Hersteller Händlern den Verkauf ihrer Ware über Online-Marktplätze wie Amazon verbieten könnten. Das EuGH ist der Auffassung, dass es Herstellern und Marken erlaubt sein kann, alleine schon auf Grund eines „Luxusimages“ den Wettbewerb durch ein selektives Vertriebssystem zu beschränken. Damit ist ein Verkaufsverbot über Online-Marktplätze von Luxuswaren wie Parfümerieprodukte unter bestimmten Bedingungen kartellrechtlich zulässig.

Dieses Urteil bezieht sich aber ausschließlich auf Luxusartikel. „Es gibt keine klare Definition von Luxus und damit ist einem möglichen Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Denn was die Marke als Luxus definiert und was nicht – liegt in ihrem Ermessen. Klarheit in diesem Fall lässt der EuGH leider vermissen“, sagt Oliver Prothmann, Präsident des Bundesverbandes Onlinehandel e.V. (BVOH)

Die Coty Germany GmbH definiert eigene Parfümmarken wie Lacoste, Calvin Klein, Davidoff, Hugo Boss und andere als Luxus – obwohl diese Marken überall im stationären Handel zu finden sind. Es ist nicht ersichtlich, dass diese auch ein „Luxusimage“ im stationären Handel haben. Eine Verbindung mit diesem Image wird also nur für den Onlinehandel eingefordert.

„Dieses EuGH-Urteil bringt zwar auf der einen Seite die Rechtsauffassung des Gerichts zum Ausdruck, dass es keine willkürlichen Verbote im Onlinehandel geben darf, lässt aber leider auch eine riesige Interpretationslücke, aufgrund der eher schwammigen Definition von Luxusprodukten“, sagt Oliver Prothmann.

Das in Deutschland mit dem Fall befasste Oberlandesgericht in Frankfurt am Main hat nun noch einmal die Möglichkeit, dieses in einem eigenen Urteil klarer zu formulieren. Auch vom Bundeskartellamt wird erwartet, dass es dazu in den kommenden Entscheidungen Stellung beziehen wird.

Markenhersteller müssen nachvollziehbare Kriterien an den Onlinehandel richten

Um ein Vertriebsverbot auszusprechen, muss der Hersteller ein selektives Vertriebssystem installieren. Diese selektiven Vertriebssysteme sollen – wie bei dem System von Coty – den Vertrieb von Luxus- und Prestigewaren regulieren. Voraussetzung für ein solches Vertriebssystem ist unter anderem eine qualitative Vorgabe über die Darbietung der Luxusware im Internet. Laut EuGH sind die qualitativen Kriterien bindend für eine Vertriebseinschränkung. „Mir sind keine qualitativen Vorgaben eines selektiven Vertriebssystems bekannt, die in einem Online-Shop umgesetzt werden können, aber auf einem Online-Marktplatz wie etwa Amazon oder eBay nicht. In Deutschland werden bereits heute 50 Prozent des Onlinehandels über Marktplätze generiert. Das bedeutet, dass der Verbraucher das Einkaufen über Marktplätze liebt. Die Möglichkeit den Handel über das Internet einzuschränken, ignoriert die Entwicklung im Handel und schützt die Hersteller und Marken. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die kleinen und mittelständischen Händlerinnen und Händler haben das Nachsehen“, sagt Oliver Prothmann.

Weg durch die Instanzen – juristische Auseinandersetzungen um Coty dauern seit 2014 an

Geklagt hatte der Parfümerie-Hersteller Coty gegen einen seiner Händler, die Parfümeriekette Akzente, da dieser Produkte Cotys trotz entgegenstehender vertraglicher Vereinbarung über Amazon Marketplace verkauft. Vor über drei Jahren entschied das Landgericht Frankfurt am Main am 31. Juli 2014 (AZ: 2-3 O 128/13) in erster Instanz. Das Gericht stellte fest, dass die Regelung in den Vertriebsverträgen von Coty – nach denen pauschal jeglicher Internetvertrieb über Drittmarktplattformen wie Amazon verboten ist – eine Kernbeschränkung gemäß Art. 4 lit. c der Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen (Vertikal-GVO) darstellen würde und demnach nicht durch diese freigestellt sei. Ferner konnte das Gericht keine Kriterien erkennen, wonach für die von Coty hergestellten Parfums und Kosmetika ein Vertrieb über Amazon zu verbieten sei. Gegen diese Entscheidung legte Coty beim OLG Frankfurt a. M. Berufung ein (11 U 96/14 (Kart)), welches das Verfahren am 19. April 2016 aussetzte und dem EuGH verschiedene Fragen zur Zulässigkeit von Marktplatzverboten zur Klärung vorlegte.

 

Beschränkungen im Onlinehandel bedrohen Existenzen

Beschränkungen im Onlinehandel sind kein Kavaliersdelikt. Allein in Deutschland bescheren sie Händlern einen Umsatzverlust von mehr als 20 Prozent pro Jahr. In anderen europäischen Ländern ist die Quote sogar noch höher: UK 25 Prozent, Frankreich 26 Prozent und Italien 29 Prozent. Spitzenreiter in allen Umfragen zu Vertriebsbeschränkungen ist der US-Sportartikelhersteller Nike. „Dem Bundeskartellamt liegen seit Jahren einschlägige Wettbewerbsverstöße von Nike zur Prüfung vor, welche aber nie bearbeitet wurden, da man zu sehr mit den Verfahren gegen Adidas und Asics beschäftigt war. So kann es nicht weitergehen. Das Verhalten von Herstellern wie Coty oder Nike ist existenzbedrohend. Wir fordern das EuGH und die Politik auf, die Existenzen der kleinen Händler endlich besser zu schützen und den Machenschaften von Herstellern einen Riegel vorzuschieben“, sagt Oliver Prothmann.

 

BVOH: Marktbeherrschende Unternehmen wie Amazon und Nike müssen reguliert werden

Der BVOH fordert hier ganz klar ein verstärktes Einschreiten der Politik, denn diese Kooperation von Nike und Amazon ist nur der Anfang und exemplarisch für eine Entwicklung des Handels zu sehen, die letztendlich alle Marken betreffen wird.

Eine Entwicklung, deren negative Folgen Händler und Verbraucher auf lange Sicht gleichermaßen in Mitleidenschaft ziehen wird. Der BVOH fordert die Politik in Brüssel und Berlin auf, der Monopolisierung im Handel Einhalt zu gebieten. Die Politik muss dafür sorgen, dass es im Onlinehandel nicht die gleiche Konzentration an Marken und Ketten gibt, wie in den zentralen Einkaufsstraßen der europäischen Metropolen. „Wenn die Politik eine Vielfalt im Handel haben will, dann müssen marktbeherrschende Unternehmen wie Amazon und Nike reguliert werden“, sagt Oliver Prothmann.

Ausführlicher Kommentar von Oliver Prothmann, Präsident Bundesverband Onlinehandel e.V. finden Sie hier: https://bvoh.de/nike-und-amazon-bedrohen-den-onlinehandel/

 

Pressemitteilung: 171206 BVOH PM EuGH Coty Urteil final

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